Normalerweise hören wir die Muezzins aus den umliegenden Moscheen ihre Gebete ausrufen. Gestern tanzten durch unsere offenen Fenster aber die Töne von Weihnachtsliedern. Zum Leben erweckt von Kindern und Jugendlichen, die in der nah gelegenen Kirche üben für den Gottesdienst am Weihnachtsabend. Als wenig später tatsächlich die Stimme eines Muezzins melancholisch durch die Nacht tönt, habe ich das Gefühl in seinem Gesang die lieblichen Melodien des Kinderchors herauszuhören. Schuld daran ist Sansibar.

Als wir vor zwei Wochen hier ankamen, klangen, ich gebe es zu, die Rufe des Muezzins für mich nicht sehr melancholisch. Immer wenn ich zum Ende das unvermeidliche „Allahu Akbar“ hörte, verband ich es, ISIS sei Dank, mit Terror. Dies obwohl ich nie und nimmer der Meinung bin, dass alle Muslime Terroristen sind. Schockierend sich selbst zu beobachten und zu realisieren, was unbewusst passiert. Dann aber hat der Alltagstrubel von Sansibar uns erfasst und uns immer wieder Begegnungen mit Menschen vor die Füsse geworfen, die uns ihre Geschichten erzählten.

Es war da Christopher der Christ, der eine muslimische Freundin hat und dies weder vor seiner, noch vor ihrer Familie verstecken muss. Es ist Zakya unsere selbstbewusste Vermieterin, die zum dritten Mal verheiratet ist und ihr eigenes Gästehaus führt. Sie Muslima, ihr Mann auch, aber mit Rastas und einer Vorliebe für Motorräder. Sie betet, er scheint nicht zur Moschee zu gehen. Da ist Neema, deren zwei älteste Söhne gerade von der Koranschule kommen, als wir sie in einem kleinen Restaurant am Strassenrand treffen. Den Jüngsten, er heisst Ramadan, weil er während des Fastenmonates zu Welt kam, sitzt auf ihrem Schoss. Als er anfängt zu weinen, zieht sie ohne auch nur eine Sekunde zu zögern ihre Brust aus dem Kleid und stillt das Baby. Wir sind positiv überrascht, dass sie als muslimische Frau dies mitten in der Öffentlichkeit tut. Es scheint für sie das normalste der Welt. „Ich bin im Herzen Muslimin. Dies ist das Wichtigste“, sagt sie im weiteren Verlauf unseres Gesprächs und hat dabei keine Ahnung was für eine Inspiration sie ist.

Und dann treffen wir Sarah, eine Jüdin, die vor zehn Jahren von Israel nach Sansibar kam, unter anderem weil hier alle friedlich zusammenleben und sich gegenseitig respektieren. Sie führt einen kleinen Laden in einem Dorf, mitten auf der Insel und will dort, sobald sie die Bewilligung der Behörden hat, Touren anbieten, welche Einblicke in die Swahilikultur geben. Dazu hat sie Leute aus dem Dorf zu Touristenführern ausgebildet. „Dies ist mir wichtig, denn die Dörfer kommen mit all dem Tourismus hier zu kurz. Wir haben hier bloss 10 Häuser mit Strom, 300 haben keinen.“ Wir trafen sie, weil wir spontan am Strassenrand anhielten und nach einem Restaurant fragten, die hier ausserhalb der Touristenzonen sehr rar sind. Wenig später erhielten wir aus dem Nachbarhaus einen Teller voller Reis, Bohnen und Hähnchen serviert. Dazu eine Geschichte, die uns berührt.

Vor vielleicht 15 Jahren besuchte Sarah zusammen mit ihrer Tochter Tansania. Sie gingen auf eine Wanderung mit einem lokalen Führer. Der stellte sich ihnen zu Beginn des Tages als Francis, verheiratet und Katholik vor. Sie nahmen dies zur Kenntnis und marschierten los. Wenig später kam ihnen über eine Anhöhe ein Mann in einer langen weissen Robe und einem Käppi entgegen, offensichtlich ein Muslim. Die beiden begrüssten sich, sprachen zusammen und nach einer Weile hätte Francis zu ihnen gesagt: „Dies ist Juma, mein Bruder.“ Sie schüttelten sich die Hand und als sie nach einer Weile ihren Weg fortsetzten, fragte Sarah nach.
„Also du meinst dein Bruder, weil ihr gute Freunde seid?“
„Nein, nein er ist mein Bruder.“
„Also dann habt ihr eine andere Mutter oder einen anderen Vater?“
„Nein, gleiche Mutter, gleicher Vater. Eine Familie.“

Die Frau, mit kurzen schwarzen Haaren, die bereits einige Bücher über die Swahilikultur und das Leben auf Sansibar geschrieben hat, erzählt lebhaft davon wie Francis sie auf ihre Fragen hin total erstaunt und ratlos angeschaut habe.

„Er hat überhaupt nicht begriffen, auf was ich hinauswollte. Also musste ich es formulieren.“ So fragte sie ihn, wie es sein kann, dass sein Bruder ein Muslim sei, er aber Katholik? Eine solche Frage hätte Francis offensichtlich noch nie gehört. Er erwiderte erstaunt: „Es ist halt einfach so. Spielt es eine Rolle?“
Nein! Es spielt keine Rolle und es sollte nirgends und niemals eine Rolle spielen.

Diese Gleichgültigkeit gegenüber der Religion der anderen wird auch hier auf dem mehrheitlich muslimischen Sansibar, welches zu Tansania gehört, aber autonom geführt wird, gelebt. Keiner werde Gezwungen in die Moschee zu gehen und keiner werde schräg angeschaut, wenn er auch tatsächlich nicht hingehe. Christen arbeiten, essen und leben gemeinsam mit Hindus und Moslem. Sie grüssen sich mit „Salam“ oder „Mambo!“ und alle nehmen es mit viel „pole, pole“ – Gelassenheit.

In unserem Reiseführer steht es käme auch hier vermehrt zu Zusammenstösse zwischen Muslimen und Christen. Wir sind erstaunt, als wir nach drei Wochen auf der Insel diesen Satz lesen und fragen mehrere Leute was es damit auf sich hat. „Hier? Nein. Also, nein. Wir lassen einander in Ruhe.“, ist die Antwort, die wir von allen erhalten.

Natürlich ist auch hier nicht alles wunderbar. Die Strände ohne Hotels sind voller Abfall, Anfang des Jahres hatte Cholera für mehrere Monate die Insel und den Tourismus stillgelegt und bei den letzten Wahlen gab es Unstimmigkeiten. Die Regierung sei korrupt und es werde nur so getan, als ob es eine Demokratie gäbe, hören wir. Die Löhne sind tiefe, die Preise im Vergleich dazu hoch. Ein Lehrer verdient im Monat rund 75 Franken. Für vier Eier bezahlen wir auf dem Markt aber 70 Rappen. Und eine Mahlzeit im Lokal, wo auch die Einheimischen Essen bezahlt man um die 4 bis 5 Franken. Kein Wunder erleben wir immer wieder, dass wir als Ausländer angebettelt werden. Sogar ein 95-jähriger Opa, den wir auf einem Fischmarkt treffen und mit dem wir uns eine Weile unterhalten, hat keine Scham uns am Ende des Gesprächs um 1’000 Shilling (50 Rappen) zu bitten. Aber wenn es um Glaubensfragen geht, dann vermischen sich hier christliche Chorklänge wirklich mit dem Gesang des Muezzins.

JULIO & DAS GLÜCK

Eine Geschichte aus dem Darien, dem Dschungel zwischen Panama und Kolumbien, die zeigt das Glück zu haben, nicht Schicksal oder Zufall ist. Denn wir alle finden das Glück, da wo es näher nicht sein könnte: in uns drin.

Ich kann nicht aufhören zu grinsen. Wir fahren in einem kleinen Motorboot, einem sogenannten Panga, durch die Flussmündung hinaus ins Meer. Etwas später ziehen Felswände und Hügel bewachsen mit sattgrünem Dschungel an uns vorbei, Pelikane segeln über unsere Köpfe, fliegende Fische springen neben uns aus dem Wasser. Ich kann unserem Kapitän nur zu stimmen. „Muy lindo.“ Es ist wunderschön hier, an dem Ort, der so ganz von der Welt abgeschnitten ist. Wir sind in der Provinz Darien, im Süden von Panama. Was wir sehen, ist der Darien Dschungel; er streckt sich zwischen Panama und Kolumbien weit über Berge und Täler aus und macht es unmöglich auf der Strasse von einem ins andere Land zu gelangen.

Während wir uns für den Dokumentarfilm zu unserem Buch via Boot weiter Richtung Kolumbien bewegen, wird es schnell normal, den Pass einem Polizisten auszuhändigen und das Gepäck nach der Rückkehr an Land von einem Drogenspürhund beschnüffeln zu lassen. Aber die Schönheit dieser verlassenen Gegen, die Einfachheit des Lebens fasziniert mich. Dylan, der hier bereits vor vier Jahren mangels Strassen mit seinem Motorradfloss unterwegs war, sowieso. Für den Film suchen wir nun die Menschen auf, die ihm damals bei seinem Abenteuer unterstützt haben. Dabei finden wir nicht nur Freunde wieder, sondern auch wunderbare Geschichten.

Die von Julio zum Beispiel. Als Dylan ihn damals zum ersten Mal traf, war er gerade erst mit Frau und Kindern in Ardita, einem Dorf bestehend aus neun Familien, angekommen. Sie waren 10 Tage durch den Dschungel marschiert, um der andauernden Gewalt, die zwei Gangs in ihrer Heimat verbreiteten, zu entkommen. Im Gepäck nichts ausser dem Mut neu anzufangen. Das erste was er jetzt zu mir sagt ist: „Er gab mir damals 20 Dollar!“ Und Dylan erklärt, dass er dem Mann nicht anders hatte unterstützen können als mit 20 Dollar —alles was er damals noch übrig hatte, nachdem er sechs Wochen auf dem Pazifik unterwegs gewesen war. Jetzt will Julio unbedingt, dass wir am nächsten Morgen seine Finca besuchen.

Um sieben Uhr in der Früh holt er uns ab, es folgen 20 Minuten Fussmarsch durch den Dschungel. Über mächtige Baumwurzeln, durch Sumpf und Flussbette gehen wir Julio hinterher, der in seinen Gummistiefeln zügig vorangeht. Irgendwann kreuzen wir sechs seiner acht Kinder auf dem Weg zur Schule. Dann plötzlich, in einer Flussbiegung ein grosses Holzhaus auf Pfählen, gedeckt mit einem einfachen Palmenblätterdach. Die Hunde begrüssen uns bellend, während die Hühner und Katzen uns nicht beachten und die Schweine sich überglücklich über den Mais hermachen, der Julio ihnen vorwirft. Um das Haus herum führt er uns über sein Farmland, welches er und seine Frau sich in den letzten Jahren erarbeitet haben. „Ihr habt diese alles selbst gemacht?“, fragen wir mehr als einmal und Julio ist sichtlich stolz. Er hat dem Dschungel ein Stück Land gestohlen und daraus eine kleine Farm gemacht, die es ihm ermöglicht seine Familie zu ernähren und den Kopf über Wasser zu halten. Sie haben Mais, Papaya, Ananas, Avocados, Kartoffeln, Kochbananen und vieles mehr angebaut. Er muss wie verrückt gearbeitet haben in den letzten Jahren; Wahnsinn was er hier mitten im Dschungel geschafft hat

.

Dann erhalten wir einen schwarzen Kaffee und eine frisch gepflückte Papaya gereicht. Das wohl beste Frühstück der gesamten Reise und als wären wir nicht schon über die Kraft seines Willens gerührt, verschwindet Julios Frau hinter einem Vorhang und kommt dann mit einem zerknitterten Dollarschein in der Hand zurück. Sie reicht ihn Julio und dieser sagt zu Dylan: „Schau, diesen einen Dollar von den 20, die du mir damals gegeben hast, habe ich aufbewahrt, um dich in Erinnerung zu behalten!“ Wir sind sprachlos und froh den beschwerlichen Weg in das kleine Dorf auf uns genommen zu haben.

„Julio, bist du glücklich?“ fragen wir den Mann, der in einem einfachen T-Shirt und abgewetzten Hosen vor uns steht. Der seine Heimat vor fünf Jahren auf der Suche nach dem Traum von einem Leben in Frieden verlassen hat. „Ja!“ sagt er ohne zu zögern „Muy feliz!“ Sehr glücklich! Seine Augen strahlen und er verliert kein Wort darüber wie anstrengend die letzten Jahre für ihn gewesen sein müssen. Er zeigt uns, hier mitten im Dschungel, abgeschnitten vom Rest der Welt, was es bedeute, wenn wird das Glück im Herzen anstatt auf dem Bankkonto tragen.

Eine längere Version dieser Artikels gibt es auch auf reisedepeschen.de

Mehr zum Buch “Am Ende der Strasse” gibts auf unserer Homepage www.ride2xplore.

Julio und das Glück

Mr. Pao von der Strasse

bildschirmfoto-2016-12-23-um-18-39-02

Die Gassen führen wie in einem Labyrinth durch die Häuserzeilen. Wer Stone Town auf Sansibar zum ersten Mal besucht, der denkt, dass er nie mehr aus dem Häuserwirrwar hinausfindet. Zu Beginn scheinen alle die grauen und weissen Mauern gleich auszusehen. Nur mit der Zeit lernt man sich an den Details zu orientieren. Ein Plakat aus weissem Papier, direkt an die Wand gekleistert, die besonders schöne Holztüre eines Hauses, der Verkäufer mit seinem Handkarren voller Äpfel, der immer an der gleichen Ecke steht oder die Moschee hinter der nächsten Biegung. Sich in Stone Town zu verlieren ist allerdings nicht weiter schlimm. Die Gegend gilt als sicher und jede oder jeder, den man nach dem Weg fragt ist freundlich genug weiter zu helfen. Zudem macht es riesen Spass sich in den Strässchen treiben zu lassen. Wir treffen auf Männer gekleidet in die Kanzu, die langen weissen Gewänder der Muslime, auf Frauen in farbigen afrikanischen Gewändern, Kinder auf Fahrräder, jungen Männern mit ihren Mofas und hunderte von Katzen. Überall hat es Läden, die ihre Waren auf den kleinen Hausvorsprüngen, die oft als eine Art Bänkchen dienen, ausgebreite haben. Von Tierfellen, über Computer bis hin zu Nüssen, Stoff oder Plastikschüsseln— hier ist alles zu finden. Und umso näher man dem Hafen und den Forodhani Gärten kommt, umso mehr Souvenirshops säumen die Gassen.

bildschirmfoto-2016-12-23-um-18-39-24

Unangenehmer Händedruck – guter Eindruck
Es war nach fast einer Woche in Stone Town, als wir uns beim Eindunkeln auf dem Weg zu den Forodhani Gärten machen, um uns dort einmal mehr an den unzähligen Essensständen den Bauch voll zu schlagen. Als wir in die Gasse einbiegen, die direkt zum Park am Ufer führt, winkt uns jemand entgegen. Wir erkennen das Gesicht des Mannes, den wir ein paar Tage zuvor zum ersten Mal getroffen haben. Ein stadtbekannter Alkoholiker. Jetzt kommt Pau direkt und mit einem müden Lachen im Gesicht auf uns zu, streckte uns seine Hand entgegen. „Hello my friend!“, wir schüttelten seine Hand und ich bereue es, als ich seine nasse Hand in der meinen spüre. Ich hoffte es ist bloss Alkohol, der soll ja bekanntlich desinfizieren.
In makellosem Englisch spricht der nach Schweiss riechende Alki höflich mit uns und schlägt so das erste Vorurteil in die Flucht. Dann fragt er was wir vorhaben.
„Wir wollen runter zum Markt, um da was zu essen“, antwortet Dylan und der Mann schüttelte sofort den Kopf. „Dort ist das Essen nicht frisch, die Sachen sind aufgetaut, nicht frisch! Da werdet ihr Bauchschmerzen bekommen.“ Er verzieht sein Gesicht und reibt sich den Bauch, als ob er Schmerzen hätte.
„Ich kenne ein besseres Restaurant, da drüben, kommt mit“, sagt er und will schon losmarschieren. Da wir aber bereits ein paar Abende zuvor an einem der unzähligen Essenständen gegessen haben, intervenieren wir.
„Nein, nein, wir wollen nicht viel Geld ausgeben. Wir wollen zum Markt, da ist es gut und günstig.“
„Günstig? Dann gehen wir besser zu Lukmaan. Da gibt es günstiges Essen.“
Lukmaan ist bereits nach den ersten paar Tagen zu unserer Stammkneipe geworden. Hier bekommt man für wenig Geld gutes lokales Essen und es hat den Vorteil, dass man am Buffet einfach mit dem Finger auf das zeigt, was man essen möchte. Ein toller Ort, aber heute Abend wollen wir was Anderes und halten, trotz den Wahrungen des alten Mannes, an unserem Plan fest. Als er merkte, dass wir unbedingt zum Markt wollten, lenkte er ein.

„Ok, dann zeige ich Euch die Stände, die frisches Essen kochen. Es gibt drei Stände, die sind gut. Alle anderen sind nicht gut. Let’s go!“

Fotobombed: Als wir Pao zum ersten Mal traffen, stand er plötzlich einfach im Bild.

Vertrauen aufs Bauchgefühl
Und schon marschiert er voraus, der betrunkene Mann, in schäbigen Kleider und alten Plastiksandalen, mit einem leicht wankenden Gang. Es sind diese Begegnungen von denen man als Reisender immer wieder gewarnt wird. Aber bevor wir überhaupt Zeit zum Nachdenken haben, laufen wir hinter dem bis anhin freundlichen Mann her. Unser Instinkt sagt uns, dass alles gut ist. Sobald wir zur Hauptstrasse kommen, hebt Pao warnend seine Hand. „Be careful. Be careful!“ ruft er und lotst uns sicher über die Strasse. Dann marschiert er zielstrebig über den Markt, schaut weder links noch rechts.

Ihm (und uns) folgen von überall her lachende Blicke, ausrufe aus Swahili, die wir nicht verstehen, dann laufen Kinder hinter ihm her, kneifen ihn in die Seite und rennen lachend davon. Während es uns irritiert wie er behandelt wird, bewegt er sich weiter zielstrebig durch die rollenden Augen und hämischen Grimassen hindurch und hält erst, als er vor einem der Stände steht, welcher laut seinen Angaben sicher für unsere Mägen ist.
Ich dachte gerade noch, dass er jetzt sehr wahrscheinlich vom Standbesitzer einen Batzen Geld erhalten wird, aber die Köche, die mit ihren ordentlich weissen Mützen dahinter stehen, behandelten ihn abschätzig und eher bedrohlich, während er nett bleibt und für uns noch einmal wiederholt, dass das Essen hier gut sei für uns „Mzungu“, Ausländer. Vourteil zwei zieht den Schwanz ein und duckt sich zwischen die Katzen, die unter dem Tisch sitzen und auf einen Happen Fisch hoffen, um sich dann beschämt davonzuschleichen.
Der Essensstand ist mit kleinen Kerosinlampen beleuchtet und wir wählen zwischen Tintenfische, Krebsen und Garnelen ein paar Hähnchenspiesse aus, lassen sie auf dem Grill heiss machen, dazu packen sie uns jedem eine Portion Pommes ein. Auch für Pao, den wir dazu überreden müssen auch etwas für sich auszuwählen.

Vorurteil widerlegt
Unser Freund weicht auch nicht von unserer Seite, als wir uns zum Essen an einen der Tische setzen. Er warte auf uns und werde uns dann nach Hause begleiten, kein Problem. Wir versicherten ihm, dass es nicht nötig sei. Er aber bleibt hartnäckig.
Dylan bestellt ein Dosengetränkt und der Kellner verlangt dafür 1’500 Shilling (rund 75 Rappen). Sofort beginnt Pao in seiner Landessprache auf den Kellner einzureden; lautstark und genervt. Dann übersetzt er, dass normalerweise ein Dosengetränk nur 1’000 Shilling kostet. „Eine Frechheit! Die bescheissen Euch, dies gefällt mir gar nicht.“ Es dauerte ein paar Sekunden und schon mischt sich ein gut gekleideter, runder Herr vom Nebentisch ein.
„Wir wollen Ordnung haben hier! Hier wird nicht so herumgeschrien“, sagt er und Pao duckte sich, sobald er die bestimmenden Worte vernimmt. Seine Körperhaltung drückte aus, dass er unmissverständlich der Unterlegene ist.
„Er ist ein Unruhestifter. Belästigt er Euch?“
„Nein, er ist mit uns da”, antworteten wir und fragen uns, wie gut es um die Ordnung bestellt ist, wenn wir von den reichen Restaurantbesitzer um den Preis beschissen werden, während sich ein Bettler für Gerechtigkeit einsetzt?
Pao wird während dessen immer wieder von Kindern begrabscht, die ihn als einzige Witzfigur sehen und auch andere Einheimische werfen offensichtlich abschätzige Kommentare und Witze nach ihm. Wir fragen warum sie dies tun und er antwortet sanft: „Kein Problem, sie sind meine Freunde. Wirklich!“

Wie er uns da gegenüber im Plastikstuhl sitzt, fallen seine Augen immer wieder zu.
„Du kannst nach Hause gehen und schlafen, wir finden den Weg zurück“, offerieren wir ihm mehrmals, doch er bleibt stur. Er werde uns sicher nach Hause bringen. Was er zum Schluss auch tut. Dies erst nachdem er uns erzählt hat, dass er früher als Touristenführer gearbeitet hat, nebst Englisch auch Deutsch, Spanisch und Italienisch spricht und jetzt im Alter von 50 Jahren leider zu viel Alkohol trinkt. Er zuckt mit den Achseln. „Ich habe eine Frau und fünf Kinder, wir können nachher bei meinem Sohn vorbeigehen. Er hat ein Taxi. Braucht ihr ein Taxi?“
Wir sind froh zu hören, dass er eine Familie hat, wie häufig er aber tatsächlich noch zu Hause vorbeischaut, bleibt sein Geheimnis. Dafür hat er uns einmal mehr daran erinnert, dass wir andere Menschen nicht nach ihrem Äusseren beurteilen sollten und dass Vorurteile einzig dazu existieren, widerlegt zu werden. Danke Mister Pao!

Irgendwo in Südschweden

dylanochstanleySMALL

Von drinnen höre ich Schritte und noch bevor die Türe geöffnet wird, vernehme ich eine fröhliche Stimme. „Ja, ihr seid richtig hier!“, dann geht die Türe und mit ihr die Sonne auf. Ich erblicke eine kleine Frau mit grauen Haaren und einem umso grösseren Strahlen im Gesicht. Sie hat vor lauter Freude beide Arme erhoben, ruft „Välkommen!“ und umarmt mich bevor ich etwas Anderes tun kann als ihr entgegen zu lachen. Dylan fährt Foxy, unsere VW Bus, auf den Platz vor das kleine weisse Holzhaus und steigt aus. Auch er erhält dieselbe, herzliche Begrüssung von Brigitta. Mittlerweile ist Stanley im Türrahmen erschienen. Auch er heisst uns bei Ihnen in Hållanda herzlich willkommen. Wir sind in Südschweden, in einem winzig kleinen Dorf. Ein paar charmante Holzhäuser im Wald, mehr nicht. Gestern Abend hätten die Elche die Äpfel von ihren Bäumen gefressen, erzählt Brigitta beim Abendessen, welches wir einnehmen während sie Blaubeeren sortiert und einfriert. „Für den Winter, für Stanley.“
Ihr Mann, soviel haben wir bereits mitbekommen, hat es gerne etwas strukturiert. Jeden Abend geht er pünktlich um 20.30 Uhr zu Bett. Daher hatte sie uns gebeten doch möglichst nicht zu spät zu kommen, als wir am Vortag anriefen und uns ankündigten.

Es ist ungefähr viertel nach Acht, als Dylan nach den beiden alten Volvos fragt, die draussen in einem Schuppen stehen. Der eine sei seiner Frau, der andere, der leider gerade kaputt ist, sei seiner. Jahrgang 1983. Er habe ihn damals in England gekauft und damit sogar seine tote Mutter in ihre Heimat zurückgefahren. Wie er erzählt, merken wir, dass ihm das Auto viel bedeutet. „Es ist kaputt? Was ist das Problem damit?“
Wenig später verschwinden die beiden Männer nach draussen. Dylan will versuchen den Schaden zu beheben. Da Stanley das Auto in England gekauft hatte, findet er hier in Schweden kein passendes Ersatzteil, was ihm bereits seit ein paar Wochen Sorgen bereitet. Ich helfe Brigitta, trotz anfänglicher Wiederrede ihrerseits, Beeren zu sortieren. Als ich den ersten Eimer fertig habe, kommt sie in Fahrt: „Hier ist noch mehr Arbeit für dich“, lacht sie und stellt eine Schüssel voller Chruselbeeren vor mich hin.

Unterdessen kommt Stanley alle paar Minuten zurück in die Küche, seine Holzschuhe künden ihn immer bereits im Voraus an.
„Dylan braucht Stahlwolle.“
„Dylan braucht Schrauben.“
Diesmal sucht er nach einem Verlängerungskabel und der Bormaschine. Brigitta und ich stehen am Fenster und beobachten die Männer, es ist schon fast zehn Uhr abends. Da wir im Norden sind, aber immer noch hell.
„Ich dachte Stanley geht immer um 8.30 zu Bett“, sage ich und will fortfahren, da klopft sie mir kräftig auf den Arm und sagt: „Schau! Heute ist er überhaupt nicht müde. Heute ist er fit und jung! Schau, wie er sich freut!“ Und tatsächlich die Augen ihres Mannes lachen und der sechsundsiebzig Jährige hat einen so verschmitzten, fröhlichen Ausdruck, wie ein kleiner Junge, der gerade Fahrradfahrend gelernt hat.

„Stanley, ist das Auto wirklich geflickt?“, fragt Brigitta als die beiden Männer wieder in die Küche kommen und Dylan zum Händewaschen im Badezimmer verschwunden ist. Auf dem Tisch steht frisch gebrühter Tee. „Ja Darling! Er hat das Auto geflickt, kannst Du dir das vorstellen! Er hat unser Problem gelöst!“ So viel ehrliche Freude, so viel Zuneigung und Humor fliegt zwischen den beiden hin und her. Es ist bezaubernd sie zu beobachten. Dann wendet sich Brigitta wieder an uns. „Ich habe heute, bevor ihre gekommen seid, zu Stanley gesagt: Koch etwas für die beiden es könnte sein, dass sie Engel sind.“ Sie schüttelt den Kopf und sagt immer wieder „This is a miraaakle“ halb englisch, halb schwedisch. Wir sind berührt und beschwingt als wir an diesem Abend vor ihrem kleinen Holzhaus in Foxy das Bett beziehen. Die Uhr zeigt 23:30.

Oft hat das Leben auf der Strasse solche unerwarteten Begegnungen bereit. Mein Mann hatte Brigitta vor sechs Jahren auf seiner Weltreise kennengelernt. Er war in Äthiopien und lag mit einer schlimmen Lebensmittelvergiftung im Bett. Die alte Frau, die ein paar Zimmer weiter wohnte, hatte die ganze Nacht seine Hand gehalten, als er sich vor Schmerzen gewunden hat. „Stundenlang habe ich damals für dich gebetet! Weißt du das noch?“ Er kann sich nur noch schemenhaft daran erinnern. „Aber ich war einfach dankbar, dass jemand da war! Zum Glück war es auf dieser Reise das einzige Mal, wo ich wirklich krank war. Kannst du dir das vorstellen? Dreieinhalb Jahre unterwegs und danach nie mehr krank!“ Brigittas fröhliche, aber ernst gemeinte Antwort darauf lässt keine Wiederrede zu: „Siehst du! Ich habe damals so viel für deine Gesundheit gebetet, dass es für ganze drei Jahre gereicht hat!“